2017: Wie Regionen sich mehr Gehör verschaffen könnten
- Beitrags-Autor:Michael Breisky
- Beitrag veröffentlicht:November 16, 2017
- Beitrags-Kategorie:Artikel
Es ist höchste Zeit, dass den Regionen in Europa mehr Selbstbestimmung eingeräumt wird – zum Wohle der Bürger!
Wenn das Beispiel Katalonien Schule macht, werden andere folgen – und die EU in eine tiefe, tatsächlich existenzbedrohende Krise stürzen, meint Joschka Fischer in einem europaweit syndizierten Kommentar „Europa versus Regionalismus“ (u.a. auch im „Standard“ vom 4. 11.). Formal gesehen hat Fischer völlig recht: Die für operative Entscheidungen maßgeblichen Ratsformationen sind heute mit 28 Mitgliedern schon am Rande der Funktionsfähigkeit. Ein paar Mitgliedstaaten mehr – und der Kollaps ist da.
Anders jedoch, wenn man inhaltlich fragt: Wie können sich Regionen auf EU-Ebene mehr Gehör verschaffen? Akzeptiert man das Unumstößliche, dass Ratsformationen nur die Vertreter von Zentralregierungen zulassen, dann geht das auch nur über die Vertretung der Zentralregierungen; das wird im Idealfall die eigene sein. Es ist aber auch denkbar, dass sich Regionen von der Vertretung eines anderen Mitgliedstaats vertreten lassen.
So zum Beispiel, wenn größere EU-Mitgliedstaaten starke topografische und klimatische Unterschiede aufweisen, wie das bei Frankreich und Italien der Fall ist: Ihre hochalpinen Regionen haben ganz besondere Eigenheiten und Bedürfnisse, die oft im natürlichen Gegensatz zu den Interessen der Mehrheit im gesamten Staatsgebiet stehen. Ähnlich die Interessen von Inseln wie den Balearen, die von Malta wohl besser vertreten würden als von ihrer Festlandregierung.
Was die EU-Verträge besagen
Kreative Interpretationen
Demokratie, Subsidiarität und Staatssouveränität als Grundprinzipien der EU sollten hier jedoch eine kreative Interpretation zulassen: Der Zweck dieser Vertragsbestimmung ist ganz offenkundig die Verhinderung eines exzessiven Hortens von Stimmrechten, wobei offenbleibt, ob es sich da um einen Mitgliedstaat mit gleichen, weniger oder mehr Stimmrechten handelt. Das kleinste EU-Mitglied kann also durchaus auch ein Mitglied mit den höchsten Stimmrechten vertreten.
Interessant ist das Wort höchstens in diesem Artikel: Es impliziert die Möglichkeit, weniger als ein ganzes Stimmrecht zu übertragen – und kann sinnvollerweise nur für Teile eines anderen Mitglieds gelten, wie es eben seine Regionen sind.
Also sollte man schon mit der aktuellen Rechtslage auf Regionen bezogene Teile des Stimmrechts eines Mitglieds einem anderen Mitglied übertragen können – bis hin zu einer Gesamtsumme übertragener Stimmrechte, wie sie die größten Mitglieder haben! Was die Gewichtung dieser regionalen Stimmrechte anbelangt, sagen die EU-Verträge dazu zwar auch nichts aus. Doch sollte dies gegebenenfalls analog zur Stimmrechtsverteilung unter den Mitgliedstaaten erfolgen, also im Verhältnis der Bevölkerung einer Region zur Bevölkerung ihres Gesamtstaates.
Mit dieser Ausgestaltung des Regionalismus auf EU-Ebene würden die Mitgliedstaaten schon im Vorfeld der Fachministerräte als Clearing-Stelle für regionale Interessen auftreten. Das ist sicherlich eine zusätzliche Aufgabe. Die Schwierigkeiten einer solchen Regelung sollten im Übrigen weniger auf technischer, sondern mehr auf politisch-psychologischer Ebene liegen.
Sie hätte das Potenzial, auf sanftem Wege einerseits den Regionen mehr gesamteuropäische Denkungsart und Verantwortung näherzubringen, andererseits bei den nationalen Vertretungen der Mitgliedstaaten in den EU-Gremien Gewichtsverschiebungen einzuleiten.
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DER AUTOR
Botschafter i. R. Michael Breisky (geboren 1940) studierte Rechtswissenschaften. 1967 trat er in den Dienst des Außenamtes ein und leitete eine Zeit lang die Südtirol-Abteilung und die Amerika-Abteilung. Er ist Verfasser mehrerer Bücher und Artikel zu Fragen des Regionalismus, des Minderheitenschutzes und der Globalisierung.
E-Mails an: debatte@diepresse.com
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 16.11.2017)