Gabor Steingarts Gründe für mehr Zukunft-Zuversicht

Klug und wichtig: Gabor Steinhart nennt  in Pioneer Briefing 5 gute Gründe für mehr Zuversicht:

29.11.2024
Guten Morgen,

die Welt wird geflutet von einem medialen Negativismus wie nie zuvor seit dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Verlage und Fernsehanstalten treiben ein böses Spiel, indem sie Gefahren zur Katastrophe vergrößern, rivalisierende Interessen mit Welteroberungsplänen gleichsetzen und die Sehnsuchtsworte der vergangenen Jahrzehnte – Freier Welthandel, Abrüstung und Frieden – mit leichter Hand ungültig stempeln.

Plötzlich stehen sich Staaten wieder wie Erzfeinde gegenüber, Aufrüstung wird zur ersten Bürgerpflicht, Publizisten drängt man in die Rolle von Kombattanten: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Der freie Wille von Bürgern und Konsumenten, die mit ihrer Kaufentscheidung eben noch das Schwungrad der Globalwirtschaft am Laufen hielten, wird politisiert. Beim Chinesen kauft man nicht.

Systematisch werden Zukunftshoffnungen in Zukunftsängste verwandelt. Die Depots der Zuversicht, ohne die ein erfolgreiches Leben nicht geführt werden kann, entladen sich schneller als die Batterien eines E-Autos. Die Reichweite der Selbstwirksamkeit wird geschrumpft.

Dabei lohnt es sich, die Zeichen der Zeit genauer zu betrachten und auf Zwischentöne und sprachliche Schattierungen zu achten. Hier sind fünf handfeste Gründe für einen anderen, einen zuversichtlichen Blick auf diese Welt.

#1 Checks and Balances der Demokratie funktionieren

Die Neuwahlen in Deutschland haben nicht die Streithähne der Ampel herbeigeführt, sondern die Richter am Bundesverfassungsgericht. Mit dem Urteil zum Nachtragshaushalt 2021 entzogen sie dem Koalitionsvertrag, der auf einem 60 Milliarden Euro großen Schuldschein geschrieben war, die Grundlage.

Das Positive: Die Richter zwangen die drei Parteien, Prioritäten zu setzen, was schließlich nicht gelang. Nun erhalten die Wählerinnen und Wähler die Möglichkeit, diese Prioritätensetzung ihrerseits vorzunehmen. Alles funktioniert wie im Lehrbuch: Die Macht fließt vom Volk zur Regierung und im Falle, dass diese scheitert, wieder zum Volk zurück.

Sarna Röser beim Event „Unternehmer in Bewegung“ auf der Pioneer Two, 27.11.2024
Sarna Röser beim Event „Unternehmer in Bewegung“ auf der Pioneer Two, 27.11.2024 © Frank Dopheide

#2 Aus Wut wird Widerstand

Deutschlands Unternehmer und Unternehmerinnen sind dabei, ihr Unwohlsein an den herrschenden Zuständen im Lande in eine Produktivkraft zu verwandeln. Die Unternehmerin Sarna Röser, bis vor kurzem Vorsitzende des Verbandes Die Jungen Unternehmer, startete die Initiative „Unternehmer in Bewegung“, die sich großen Zuspruchs erfreut.

Ziel ist es, die Furcht vor weiteren politischen Zumutungen in Selbstbewusstsein zu verwandeln. In dieser Woche trafen sich führende Köpfe der deutschen Familienunternehmen – darunterChristoph Werner, Inhaber und Geschäftsführer von dm, Personalberater Fabian Kienbaum und Alicia Lindner, geschäftsführende Gesellschafterin der Naturkosmetikmarke Annemarie Börlind auf der Pioneer Two, um das Vorgehen im Bundestagswahlkampf zu besprechen.

Es geht nicht um das Potpourri der üblichen Forderungen, sondern um die Wiederherstellung von Repräsentanz.

Event „Unternehmer in Bewegung“ auf der Pioneer Two, Berlin, 27.11.2024
Event „Unternehmer in Bewegung“ auf der Pioneer Two, Berlin, 27.11.2024 © Frank Dopheide

No taxation without representation: 57 Prozent der in der Privatwirtschaft Beschäftigten und 55 Prozent des dort erwirtschafteten Umsatzes sind den Familienunternehmen zuzurechnen, sagt die Stiftung Familienunternehmen. Diese Unternehmen finden seit längerem schon keinen Platz am Kabinettstisch. Das will Sarna Röser ändern. Sie ist die Galionsfigur einer neuen Mitmachbewegung. Ihr Motto:

Machen ist wie wollen, nur krasser. “
Sahra Wagenknecht zu Gast in der Sendung Maischberger, 19.11.2024
Sahra Wagenknecht zu Gast in der Sendung Maischberger, 19.11.2024 © imago

#3 Sprachdiktate funktionieren – aber nur für den, der sich nicht an sie hält

Die Demokratisierung der Demokratie hat begonnen: Alle Zensurversuche im öffentlichen Raum, die vom Sprechverbot (das sagt man nicht) bis zur sprachlichen Umerziehung (das sagt man so nicht) reichen, dürfen als gescheitert betrachtet werden. Die Wähler sind erkennbar nicht scharf darauf, sich die Denkräume verengen zu lassen.

Überall konnten Outsider des politischen Betriebs – wie Trumpin den USA – oder bekennende Nonkonformisten wie die Ex-Kommunistin Sahra Wagenknecht, der Ex-Grüne Boris Palmer, der Komiker Beppe Grillo in Italien und früh schon der Ex-Sozialist Emmanuel Macron Wahlen für sich entscheiden.

Sie alle leben davon, dass sie die Denkstrukturen der political correctness kritisieren und in zuweilen verstörender Weise wie Trump oder bewusst derb wie Macron („Was wir gerade erleben, ist für mich der Hirntod der Nato“) und Boris Palmer den gültigen Sprachcode verletzen. Dadurch funktionieren diese Politiker als Wellenbrecher im öffentlichen Diskurs.

Der Economist kommt in einer empirischen Analyse zu dem Ergebnis, dass „woke“ Ideen in der öffentliche Meinung ihren Zenit überschritten haben:

Wokeness nahm ab 2015, mit dem Auftreten von Donald Trump in der politischen Szene, stark zu, verbreitete sich während der Blütezeit von #MeToo und Black Lives Matter, erreichte ihren Höhepunkt in den Jahren 2021-22 – und ist seither rückläufig. “
Donald Trump spricht auf einer Wahlparty in West Palm Beach, Florida, 06.11.2024
Donald Trump spricht auf einer Wahlparty in West Palm Beach, Florida, 06.11.2024 © dpa

#4 Marktwirtschaft schlägt Protektionismus

Die durch die Handelspolitik des neuen amerikanischen Präsidenten mutmaßlich ausgelöste Trumpflation – also die Verteuerung importierter Produkte – ist keine Gefahr, sondern ein Segen für Europa. Denn diese Rückkopplungen der Globalwirtschaft wirken disziplinierend.

Gerade ein porös gewordener Geldwert ruft unverzüglich den Notenbankchef der USA als Gegenspieler des Präsidenten auf den Plan. Sein Hauptaugenmerk gilt der Sicherung der Geldwertstabilität.

So hat Jerome Powell schon auf die nur leicht erhöhte Inflation im Monat Oktober, als der Wert im Vergleich zum Vormonat von 2,4 auf 2,6 kletterte, ein verbales Bremsmanöver vorgenommen.

Die Wirtschaft sendet keine Signale, dass wir uns mit Zinssenkungen beeilen müssen. “
US-Inflation: Der Trump-Effekt?
US-Inflationsrate im Zeitverlauf, in Prozent
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Setzt Trump sein protektionistisches Zollregime in Kraft, löst er also die automatischen Stabilisatoren der Notenbank aus. Trump wird erfahren: Er ist der Präsident, aber kein Alleinherrscher.

# 5 Krieg lohnt sich nicht

Seit dem Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg ist militärisch kein großer Sieg mehr gelungen. Die letzten beiden Kriege waren krachende Misserfolge, die zur Nachahmung nicht ermuntern.

Der Afghanistan-Ausflug der Nato endete mit einer kostspieligen Niederlage gegen die Steinzeitkrieger der Taliban. Auch Putin hat seine Öl-Milliarden und das Leben von rund 100.000 Russen sinnloserweise gegen eine Gespensterlandschaft an der Ostflanke der Ukraine eingetauscht.

Auch wenn es dem Westen nicht gelang, ihn ökonomisch und politisch in die Knie zu zwingen: Den Wohlstand seiner Landsleute, den politischen Einfluss des Kreml und die Reputation Russlands konnte Putin nicht mehren.

Die Chinesen als kühle Beobachter der Szenerie dürften dieses Geschehen keineswegs als Ermunterung für einen Angriff auf Taiwan verstehen.

Ihre Lernerfahrung: Neuzeitliche Kriege lohnen sich nicht.

Fazit: Das innere Gesetz dieser Welt folgt dem dialektischen Denken: Auf Druck folgt Gegendruck. Widrige Wirklichkeiten müssen daher auch nicht zum Wahnsinn, sondern können auch zur Umkehr führen. Oder wie der Philosoph Karl Jaspers sagte:

Die Hoffnungslosigkeit ist schon die vorweggenommene Niederlage. “