2014 Gastkommentar: Sparen bei den Botschafts-Residenzen?

Sparen bei den Residenzen?

Gastkommentar von Michael Breisky in Die Presse, Wien, 6.5.2014

Die Budgetnot zieht den Blick des Außenministers auf die Botschaftersitze im Ausland. Wie groß ist dort das Sparpotenzial?

Peter Ustinov sah Botschafter als Oberkellner, die bei Tisch dabeisitzen dürfen. Ein gutes Bonmot, doch verschweigt es, dass auch die Frau des Botschafters bei Tisch sitzt, und zwar direkt neben Ministern und sonstigen Potentaten – eine Gesprächsmöglichkeit, für die nicht nur Lobbyisten sehr viel Bares zahlen würden.

Damit ist schon das wichtigste zur Kontaktpflege des Diplomaten gesagt: Er muss versuchen, sich in den Eliten des Gaststaates rasch zu integrieren. Nur so kann er die lokalen Interessen voll verstehen, Entscheidungsträgern möglichst nahekommen und sein eigenes Vorbringen optimal absichern.

Die „Repräsentation“ ist bisher so erfolgt, dass der Diplomat unter vorläufiger Zurückstellung fachlicher Interessen seine allgemein-menschlichen Qualitäten in den Vordergrund stellt – also auch seine private Lebensführung einschließlich seines Ehepartners.

Dessen Mitwirkung ist wiederum Voraussetzung, dass auch die Partner der lokalen VIPs sich gern mit Diplomaten abgeben. Das hilft nicht nur der Image-Arbeit, sondern fördert auch umfassendes Wissen über den Gaststaat. Diese holistische Repräsentation setzt allerdings voraus:
•(Ehe-)Partner des Diplomaten für die Fiktion, dass die Kontaktpflege mit den Eliten auch privates Vergnügen bereitet; auch ist der Partner „Stichwortbringer“ für zielorientierte Gespräche;
•großzügig wirkende Residenzen als Plattform für diese Begegnungen; so dürfen sie nicht – wie es leider zu oft geschieht – den recht diskreten Charme von Kassenarztwartezimmern entfalten.

 

Eine Faustregel für Kurz

So war es jedenfalls, bis die Emanzipation der Frau auch die Diplomatie voll erfasst hat. Weil die „Frau Botschafter“ sich nun schon mangels finanzieller Anerkennung zur Nurhausfrau degradiert sah, wurde die eigene berufliche Karriere immer wichtiger, die typische Diplomatenehe degenerierte zur Wochenendehe.

Auf der Strecke blieb die holistische Repräsentation: ohne den Partner des Diplomaten keine VIP-Partner. Statt gesellschaftlich attraktiver Diplomatenessen werden nun Business Luncheons im kleinen Kreis bevorzugt – und dafür braucht man keine großen Residenzen. Statt holistischer ist nun die linear zielende Repräsentation mit Experten in, und im Restaurant geht das vielleicht sogar effizienter. Daher ist es nur logisch, dass Außenminister Sebastian Kurz die Konsequenzen zieht und in kleineren Botschaftsresidenzen erhebliches Sparpotenzial sieht.

Allerdings täte er gut daran, bei jedem Posten abzuwägen, ob dort wirklich auf holistische Repräsentation verzichtet werden kann. Er kann sich dabei auf eine Faustregel stützen: Diplomaten in Wochenendehe zieht es auf Posten in Mitteleuropa, weil es da gute Wochenendverbindungen zum Partner in Wien gibt. Gerade dort ist auch das Allgemeinwissen über Österreich am besten entwickelt, das holistische Element daher weniger wichtig.

Genau umgekehrt liegen die Dinge außerhalb Europas: Dort zählt noch das Holistische, und allem Undank der Republik zum Trotz gibt es dort noch Menschen, die die Arbeit einer „Frau Botschafter“ für Österreich noch ernst nehmen. Also wenn schon Residenzen verkleinern, dann in Mitteleuropa!

Michael Breisky (* 1940) studierte Rechtswissenschaften und war von 1967 bis 2005 im diplomatischen Dienst Österreichs tätig.

E-Mails an: debatte@diepresse.co

(mehr …)

Weiterlesen2014 Gastkommentar: Sparen bei den Botschafts-Residenzen?

2014 Gastkommentar: Von Südtirol in das blutende Syrien

Von Südtirol in das blutende Syrien

Die Option auf radikale Selbstbestimmung als Friedenschance für ein vom Bürgerkrieg schwer heimgesuchtes Land.

Gastkommentar von Michael Breisky in Die Presse, Wien, 27.2.2014

Die allgemeine Ratlosigkeit zu Syrien bringt mich auf ein Thema, zu dem ich in den 1990er-Jahren mit Blick auf Nordirland und Bosnien einiges publiziert habe: die Option auf Selbstbestimmung als Friedenschance. Mein Ausgangspunkt war ein Gedankenexperiment, das ich zur Selbstbestimmungsdebatte in Südtirol entwickelt hatte.

Von der Prozedur her waren die nationalen, kantonalen und dörflichen Volksabstimmungen beispielgebend, die in den 1970er-Jahren zur Entstehung des Schweizer Kantons Jura geführt haben. Mein Szenario sah so aus:

Stufe1: Das mehrheitlich deutschsprachige Südtirol erklärt seine Unabhängigkeit von Italien;

Stufe2: Das mehrheitlich italienischsprachige Bozen sagt sich von Südtirol los und beansprucht für sich einen Status, wie ihn Campione d’Italia im Tessin hat;

Stufe3: Der mehrheitlich deutschsprachige Stadtteil Gries trennt sich von Bozen und erklärt seinen Anschluss an Südtirol;

Stufe4: Ein mehrheitlich italienischsprachiger Häuserblock in Gries handelt analog und schließt sich wieder Bozen und Italien an.

Natürlich, Bürokraten in Brüssel und anderswo hätten schon Stufe1 für blanken Irrsinn gehalten. Ein Altfaschist in Gries würde aber auch Stufe4 für richtig halten, wenn einmal Stufe3 realisiert sein sollte. Die Nutzanwendung dieses Szenarios ergibt sich aus Thesen, die ich aus konkreten Erfahrungen mit Minderheitenfragen ableiten konnte.

 

Emotionale, rationale Ebenen

These 1: Jede Volksgruppe, die in ihrem Siedlungsgebiet die Mehrheit bildet, strebt zur Sicherung ihrer Identität eine möglichst weitgehende Selbstbestimmung an; es ist das ein Prozess auf der emotionalen Ebene, der seinen Höhepunkt erst mit Etablierung eines eigenen Staates oder der Veränderung von Staatsgrenzen erreicht.

These 2: Der entgegengesetzte Wunsch nach überethnischer Integration spielt sich hingegen primär auf der rationalen Ebene ab. Er kann daher nach allen Erkenntnissen der Psychologie nur realisiert werden, wenn die Blockierungen auf der emotionalen Ebene erfolgreich sublimiert worden sind.

 

Kunststaat Syrien

These 3 kann heute in Syrien nicht greifen: Weil die Sublimierung nur nach längerer Ruhe möglich ist, sollte zunächst von kultureller zu legislativer Autonomie und erst dann zu voller Souveränität geschritten werden; dabei sollte der Schritt zur nächsten Stufe jedoch nur erlaubt sein, wenn der Zentralstaat Gelegenheit gehabt hat, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Vorteile eines weiteren Verbleibs im bisherigen Integrationszustand unter Beweis zu stellen.

In Syrien – einem auf osmanischen Trümmern dekretierten Kunststaat – ist der nationale Konsens heute total vernichtet. Was immer sich an staatlichem Gemeinschaftsgefühl wieder entwickelt, muss daher „von unten“ ganz neu aufgebaut werden.

Kurz, Syrien muss sich in einem bei null beginnenden Integrationsprozess neu erfinden. Die Wirtschaft wäre dabei wohl der Motor, kann aber auch nur auf der Basis gesicherter Identitäten wirksam werden.

Der politische Vorteil dieses Lösungsansatzes liegt schon darin, dass alle Schutzmächte der Bürgerkriegsparteien ihr Gesicht und ihre Interessen wahren könnten: neben den Nachbarn also Russland und der Iran, die Saudis sowie Europa und die USA. Und wer weiß, womöglich gelingt es der Regierung in Damaskus mit ihm sogar, innerhalb der syrischen Grenzen so viel Konsens zu schaffen, dass dieses Friedensmodell auf die gesamte Region ausstrahlt.

Botschafter i.R. Michael Breisky hat als österreichischer Berufsdiplomat u.a. an der Beilegung des Südtirol-Konflikts mitgewirkt und ist heute freier Publizist zur Philosophie Leopold Kohrs.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

(mehr …)

Weiterlesen2014 Gastkommentar: Von Südtirol in das blutende Syrien